Von der Idee auf die Leinwand 3

Von der Idee auf die Leinwand 3

Autor: Felix

Rubrik: Aktuelles, Thema

Wie kommt eine Idee auf die Kinoleinwand? Was passierte beim Dreh? Wie überzeugte der Regisseur die Stars, ohne Gage zu spielen? Und wie geht es nach dem Dreh weiter?Das und vieles mehr kommt seit März in jeder Ausgabe des Kinomagazins Abspann der Lochmann Filmtheaterbetriebe zur Sprache. Seien Sie dabei und begleiten Sie DIE ENTBEHRLICHEN von der Idee bis auf die Kinoleinwand!

Teil 3: Hurra, wir drehen unseren Film… oder: Was „No-Budget“ im Drehalltag bedeutet

Man muss nicht unbedingt zum Kreis der Filmemacher gehören, um zu wissen, das sich das Filmemachen immer im Windschatten des Chaos bewegt. Doch das Chaos hat einen Feind: Den Independentfilmemacher. Dieser ist in der Regel noch chaotischer als das Chaos selbst.

Der Vorabend zum ersten Drehtag der ENTBEHRLICHEN sollte diese Theorie bestätigen: Das Scriptgirl sagte wegen kurzfristiger Schwangerschaft ab, die Maskenbildnerin erlitt einen Blutsturz und der Fahrer gestand, dass er keine Fahrerlaubnis hat.

Unabhängiges Filmemachen heißt auch, sich von Tag zu Tag hangeln, in der Hoffnung am Ende des Tages etwas Brauchbares in den nächsten Tag mitnehmen zu können.

Was Dreharbeiten ohne Geld wirklich bedeuten, läßt sich theoretisch nur bedingt vermitteln. Der Drehtag hat einen Anfang, aber will kein Ende finden. 16 Stunden Arbeitstage sind keine Seltenheit. Immer scheint es dem Außenstehenden, als ob viel zu viele Leute an einem Filmset arbeiten, aber in Wirklichkeit sind es viel zu wenige. Jeder Beteiligte muss bei dieser Art von Film zwei bis drei Positionen einnehmen: Die Kostümbildnerin wurde für einige Tage auch zur Maskenbildnerin, da ich der Meinung war, dass sie sich von allen Frauen am Set am besten schminkt (Stars wie Steffi Kühnert und André Hennicke verbuchten das als ganz spezielle Erfahrung), der Regieassistent wurde zum Aufnahmeleiter und zum Scriptgirl (auf Grund der hohen Belastung hatten wir insgesamt drei Regieassistenten) und der Produzent schmierte am Morgen die Brötchen und schleppte weit nach Mitternacht Straßenschilder durch Berlin in der Hoffnung, sie auch in der richtigen Straße aufzustellen. 

Mit nur drei Monaten ging dem gesamten Dreh eine relativ kurze, aber intensive Drehvorbereitung voraus, was aber völlig ausreichend war. Und nachdem die Schauspieler sich zum ersten Mal am eingerichteten Set eingefunden hatten, geprobt wurde und die erste Klappe fiel, unterschied sich nichts mehr von einem millionenschweren Drehtag, wie sie die sogenannten Großen Studios realisieren. Denn das Eigentliche: die künstlerische Arbeit, die Inszenierung, vollzieht sich unabhängig vom Geld. Ob man nun einen Now-Budget Film inszeniert oder die Schauspieler in einen Blockbuster von A nach B schickt, ist dasselbe. Nun hatten wir den großen Vorteil, nicht über maßlos viel Equipment zu verfügen, welches uns in die Lage versetzt hätte, z.B. ewig lang die einzelnen Drehorte einzuleuchten. Wir hatten ca. vier Lampen (die eine oder andere fiel auch noch aus) und damit wurde das Licht gesetzt, welches der Dramaturgie entsprach. Aber gerade dieser Mangel stellte sich im Nachhinein als eine große Qualität heraus, denn nur deshalb sind die Szenen in ihrer Wirkung so realistisch, weil wir die Dinge so nahmen, wie wir sie teils vorfanden und ihnen nicht mit viel Geld und Aufwand ein realistischen Anstrich gegeben haben. 

Nun zielte bei den ENTBEHRLICHEN alles auf die Inszenierung in nahezu dokumentarischer Genauigkeit ab, so dass der Mangel an Vielem nicht auffiel. Das heißt nicht das wir auf Special Effects verzichtet hätten: Bei uns brennen Menschen und Fahrzeuge. Aber auch das geht nur, wenn das Special Effect-Team gratis arbeitet, ansonsten ist die kleinste Flamme nicht realisierbar. 

 Und damit wären wir auch schon beim Hauptthema: Was heißt No-Budget? Es heißt nichts weiter, als dass alle Beteiligten kein Geld am Drehende erhalten, sondern statt dessen einen üppigen Rückstellungsvertrag bekommen, der sich erst dann auszahlt, wenn der Film an der Kinokasse, also in den Traum- und Sternenpalast-Kinos dieser Welt erfolgreich ist. An der Börse nennt man das einen Optionsschein, sprich eine Wette auf etwas, dessen Ausgang völlig unbekannt ist. Wird aus dem Film nichts, verfällt der Schein wertlos. Natürlich geht es nicht ganz ohne Bares: Material, Verpflegung, Strom und viele unverhergesehene Dinge machen aus einem No-Budget Projekt dann doch eine relativ teure Angelegenheit, wenn (wie in unserem Fall) keine Sponsoren bzw. Förderer bei der Entstehung des Films mithelfen.

Nun fragen sich viele: Wieso arbeiten ausgebildete Leute für einen Schuldschein, der am Ende vielleicht nichts wert ist? Wie im Abspann Ausgabe 13 schon erwähnt, lassen sich die Darsteller durch ein gutes Buch locken und fragen nicht nach dem großen Geld, jedenfalls nicht am Anfang. Das Team ist schon schwieriger zusammenzustellen. Man muss sich vorstellen, dass die Filmschaffenden in Deutschland eine große Familie bilden, jeder ist jedem schon irgendwie mal begegnet oder hat wenigstens den Namen des Beleuchters, Kameramanns, Caterer etc. schon mal gehört. Und es ist kein Geheimnis, das es nicht leicht ist, als Neuling Fuß in festgefahrenen Strukturen zu fassen.

Im Falle der ENTBEHRLICHEN musste ich Leute finden, die mit unglaublich viel Engagament in das Projekt starten. So habe ich Leute in verantwortliche Positionen gestellt, die vorher noch nie an einem Filmset gestanden hatten: Unsere Ausstatterin Carolin Schirling ist ein Beispiel. Hochtalentiert, aber ohne Set-Erfahrung hatte sie kaum Chancen, in einer Ausstattungsabteilung zu arbeiten, schon gar nicht als Ausstatterin. Über viele Jahre hätte sie sich von Assistenz zu Assistenz mühen müssen, um mit viel Glück dann ein Ausstattungsangebot zu bekommen. Bei uns war sie die Ausstatterin vom ersten Tag an und hat mit einer beispiellosen Arbeit alle in der Branche überzeugt. Nicht nur, dass sie die gesamte Ausstattung realisiert hat, auch noch als Innen-und Außenrequisite hat sie gearbeitet. Was bei einer normal finanzierten Produktion bis zu sechs Ausstatter, Requisiteure und Assistenten leisten müssen, hat Carolin allein geschafft. Ein Glücksfall.

Aber als Produzent sollte man eine gewisse Menschenkenntnis besitzen und spüren, ob jemand auch in der Lage ist, das umzusetzen, was er im Bewerbungsgespräch ankündigt. Nach Beendigung unserer Dreharbeiten bekam Carolin einen Jahresvertrag bei der ZDF-Serie KÜSTENWACHE als Ausstatterin. Es gibt sie, die Wunder im Film!  

Aber No-Budget kann auch No-People heißen. Ich glaube am zehnten Drehtag gab ich die üblichen Kommandos um die erste Szene zu drehen: Kamera? Ja, Kamera läuft. Ton? Ton?… Der Tonmeister war nicht erschienen. Selbst sein Assistent, der fleißig die Angel hielt, hatte das nicht bemerkt. Ich machte den Assistenten zum Tonmeister, (was er heute auch noch ist) und er nutzte die Chance, machte einen guten Job und hat den „Entbehrlichen“ an diesem Tag die Stimmen und Töne gerettet und für sich einen riesen Erfolg verbucht. Wäre das bei einer senderfinanzierten Auftragsproduktion passiert, hätte es eine kurze Krisensitzung gegeben und viel Verwaltungsaufwand. Im No-Budget Bereich geht es um ganz andere Dinge: Höchste Flexibilität im Chaos.

 Andreas Arnstedt